Pionierarbeit in der Begleitung von Menschen mit Prader-Willi-Syndrom

Es ist ein Leuchtturmprojekt im ländlichen Oberösterreich: In St. Pius, Peuerbach, entstand das weltweit erste Prader-Willi-Syndrom-Kompetenzzentrum.

Die Bekanntheit ist niedrig, die Wissenslücken sind groß. Dementsprechend kämpfen Menschen mit Prader-Willi-Syndrom sowie deren Angehörigen ständig damit, verstanden zu werden und sich angenommen zu fühlen. Das neue Kompetenzzentrum in St. Pius hat es sich zur Aufgabe gesetzt, das Bewusstsein in dieser Hinsicht zu schärfen.

Was ist das Prader-Willi-Syndrom (PWS)?

Betroffene Menschen dieses angeborenen Gendefektes haben eine verminderte Muskelmasse, sowie eine niedrige Muskelspannung und einen daraus resultierenden verminderten Kalorien-Grundumsatz. Das unstillbare Verlangen nach Essen führt demnach oft zu Übergewicht. Auch gehen meist eine kognitive Beeinträchtigung sowie Verhaltensauffälligkeiten damit einher.

Die Diagnose wird heutzutage früh gestellt. Wenn Babys aufgrund der Muskelhypotonie keine Grundspannung haben und schlaff sind, weist dies schon auf das Syndrom hin. Anfangs werden die Babys oft künstlich ernährt, weil ihnen die Muskulatur zum Saugen fehlt.

Die Erkrankung erfordert eine strukturierte und einfühlsame Betreuung. Was dabei wichtig ist, haben sich die Caritas-Mitarbeiter*innen Janine Sinner und Birgit Krista, federführend im Kompetenzzentrum, zusammen mit ihren Kolleg*innen über Jahre erarbeitet.

In Österreich sind etwa 500 Personen betroffen. „Aufgrund der Seltenheit fehlt daher oft das Grundwissen dazu“, erklärt Birgit Krista. Deshalb ist es umso wichtiger eine Anlaufstelle zu haben, wo man sich dazu punktgenau Wissen aneignen kann.

Europaweit Know-how gesammelt

In St. Pius begann der Wissenserwerb mit den Menschen im Wohn- und Arbeitsbereich, die vom Prader-Willi-Syndrom betroffen waren – derzeit fünf an der Zahl. Janine Sinner erinnert sich: „Wir mussten uns Know-how aneignen, also haben wir Lehrgänge und internationale Konferenzen besucht.“ Janine Sinner fuhr in verschiedenste Länder, um sich die Kompetenzen zu erwerben und praktische Erfahrungen zu sammeln in der Begleitung von Menschen mit PWS. Birgit Krista ergänzt: „Und wir haben von Anfang an den Austausch gesucht zu Fachexpert*innen und anderen Einrichtungen, wo Menschen mit PWS begleitet werden.“ 2020 fand schließlich der erste Fachlehrgang in St. Pius statt, um Kolleg*innen zu schulen.

Im vergangenen Jahr wurde das Kompetenzzentrum schließlich aus der Taufe gehoben: St. Pius organisierte einen großen Fachdialog für den deutschsprachigen Raum, die Auftaktveranstaltung zur Gründung. So hat sich der Standort zur Anlaufstelle für Beratung entwickelt – vorwiegend für Betroffene, ihre Eltern/Angehörigen und Betreuer*innen, doch auch Therapeut*innen und Mediziner*innen klopfen an.

Vierteljährlich finden Online-Treffen zum Austausch mit rund 30 Teilnehmenden statt. Zudem besuchen die Mitarbeiter*innen auch direkt Einrichtungen, um sie vor Ort zu beraten.

Wo man sich angenommen fühlt

Viele Eltern atmen auf, wenn sie das Kompetenzzentrum kennen lernen. „Bei euch fühlt man sich wohl, verstanden und unterstützt“, sagte kürzlich eine Mutter zur Birgit Krista. Oft erleben Eltern es gegenteilig: Das Umfeld signalisiert ihnen, sie sollten strenger sein. Sie erleben viele Beurteilungen von Menschen, die wenig Erfahrung mit dem Syndrom haben. So findet das Sich-Öffnen nur sehr vorsichtig statt.

Einen Ort zu haben, wo man weiß, was das Prader-Willi Syndrom in der Betreuung heißt, ist eine große Erleichterung für die Eltern. Und unterm Strich ist es genau das, was sie suchen - nicht für sich, sondern für ihre Kinder: Einen Ort, wo man angenommen, und nicht bewertet wird.

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