Zwölf Jahre lang pflegte Maria Radner ihre an Multipler Sklerose erkrankte Schwester. Im letzten Jahr holte sie sich Unterstützung vom Mobilen Hospiz Palliative Care. Mit Palliativschwester Jovita Hall spricht sie über die Herausforderungen von pflegenden Angehörigen.
Durch das Fortschreiten der Krankheit war für ihre Schwester der Alltag mit den Kindern nicht mehr zu bewältigen. Sie sagte: Mach du es bitte. Von diesem Zeitpunkt an war Maria Radner nicht nur Mutter für ihre eigenen Kinder, sondern auch pflegende Angehörige und Ersatzmutter für ihre Nichte und ihren Neffen.
Maria Radner: „Man ist auf so etwas nicht vorbereitet. Jeder hat sein Leben. Seinen Beruf. Wenn dann so etwas passiert, ist es immer schwierig. Man kauft ja nicht auf Verdacht zusätzliche Betten oder bereitet Zimmer vor. Es passiert einfach. Zuerst zog meine Nichte ein, dann mein Neffe und meine Schwester. Wir haben das Haus barrierefrei umgebaut, einen Duschlift eingebaut. Plötzlich ist da dieser riesige Umbruch im Leben. Man weiß nicht vorab, wann es anfängt. Man weiß nicht, wie lange es dauert.“
Jovita Hall: „In Wirklichkeit kann niemand das Ausmaß so einer Betreuung einschätzen. Jeder wächst hinein.“
Radner: „Man wächst nicht hinein – man wird hineingeworfen. Man steht da und fragt sich: Was tut man mit jemandem in dieser Situation? Für ein Heim war meine Schwester viel zu jung. Und selbst wenn sie in ein Heim gekommen wäre: Was hätte das mit den Kindern gemacht, wenn die Mutter einfach so weggewesen wäre?“
Hall: „So eine Situation trifft nie nur eine einzelne Person. Es ist immer die ganze Familie miteinbezogen. Daher schließt unsere Arbeit im Palliativteam auch immer die Angehörigen mit ein. Oft brauchen uns die Angehörigen tatsächlich mehr als die Patient*innen.“
Radner: „Ich habe mich wirklich davor gefürchtet, das Palliativteam dazuzuholen. Palliativ heißt für mich ‚Wir geben auf.‘ Austherapiert. Aber wir haben es dann doch gemacht.“
Hall: „Palliativ war für dich sicher etwas Bedrohliches. Es heißt, in den meisten Fällen, sterben. Und wenn man dem Sterben in die Augen schauen muss – das wird bis zuletzt vermieden. Meistens stellt sich im Nachhinein heraus, dass man uns spät miteinbezogen hat. Wenn man Unterstützung vom Palliativteam beantragt, heißt das nicht, dass man sich unmittelbar im Sterbeprozess befindet. Grundsätzlich sind wir dafür da, die Lebensqualität zu erhalten.“
Wann wäre der richtige Zeitpunkt, das Palliativteam zu kontaktieren?
Hall: „In Wahrheit dann, wenn eine gewisse Symptomatik vorhanden ist und die Angehörigen in die Betreuung einsteigen. Wir haben Patient*innen, die stabil sind und zu denen wir einmal im Monat kommen. Das ist nur ein kurzer Besuch. Aber wir geben den Menschen, die wir begleiten, eine große Sicherheit: Wir haben immer 24-Stunden-Bereitschaft. Man kann uns immer kontaktieren. Wir organisieren dann in diesem Notfall die beste Lösung.“
Radner: „Es ist ja oft schon super, einfach jemanden anrufen zu können, zu dem man das vollste Vertrauen hat. Oft sind es keine schlimmen Sachen – Symptomatiken, die sich auf einmal verändern, etwas beim Katheter. Dinge, wo man einfach nicht weiß, wohin damit.“
Was hat Sie am meisten belastet?
Radner: „Man ist ständig mit einer anderen Herausforderung konfrontiert. Es gibt so vieles, das man nicht kann – oder zu wenig kann. Wenn man alleine ist, ist das sehr zehrend. Als meine Schwester zu mir gezogen ist, kam dann der Punkt, wo ich gespürt habe: Es geht sich nicht mehr aus. Ich schaffe das nicht mehr. Die Kinder hängen dran, meine Schwester hängt dran, und das kann ja nicht sein, dass wir deshalb alle draufgehen.
Ab da kamen persönliche Betreuerinnen vormittags, für die Körperpflege. Das war ein wichtiger Schritt, sich einzugestehen, dass man Hilfe von außen braucht. Das hat mich nicht nur dadurch entlastet, dass mir die pflegerische Arbeit abgenommen wurde. Vielmehr hat man plötzlich ein Team dabei, mit dem man Fragen besprechen und gemeinsam Entscheidungen treffen kann.“
Hall: „Am Ende war sie gut versorgt, mit Hauskrankenpflege, Palliativteam und den persönlichen Betreuerinnen, die sich um den Verbandswechsel, Dekubitus, Katheter-Wechsel etc. gekümmert haben. Als Palliativteam waren wir ein Jahr lang dabei. In diesem Jahr war alles top organisiert. Indem wir das miteinander gemacht haben, haben wir das gut geschafft, trotz immer größerem pflegerischen Aufwand.“
Radner: „Alleine steht man so oft da und fragt sich: Was mache ich in diesem Fall? Was ist dabei wichtig? Der Austausch hilft so sehr. Dass man alles nicht alleine schultern muss. Am Anfang steht man halt da und weiß nichts: Wir haben unser Haus barrierefrei umgebaut, einen Duschlift einbauen lassen – alles alleine. Es gab keine Informationen bezüglich einer möglichen finanziellen oder persönlichen Unterstützungsmöglichkeit. Man sucht sich alles selbst zusammen.
Sobald es einmal läuft, ist es kein Problem. Dann ist alles stabil und gibt Sicherheit. Aber an diesen Punkt zu kommen ist viel Stress. Und man hat auch die Zeit dafür nicht, sich alles zusammenzusuchen. Man ist froh, wenn man den Tag übersteht.“
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1.215 Patient*innen und ihre Bezugspersonen begleitete das Mobile Hospiz Palliative Care im Jahr 2022. Die Teams unterstützen unentgeltlich schwerstkranke Menschen sowie deren Angehörige. Das Angebot reicht über Beratung bei der Betreuung zu Hause über die Durchführung von schmerzlindernden Pflegemaßnahmen bis hin zu Begleitung in der Zeit des Abschiednehmens und der Trauer. Speziell für Kinder und deren Angehörige gibt es das KinderPalliativNetzwerk.
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