Inklusiver Journalismus: Blickwechsel für mehr Teilhabe

In der Inklusiven Redaktion der Caritas Oberösterreich kommen Menschen mit und ohne Beeinträchtigung zusammen, um die medialen Blickwinkel auf die Welt zu erweitern.

Wenn sich die Inklusive Redaktion zusammenfindet, ist viel Energie, Motivation und Tatendrang spürbar. Auch wenn der Raum klein ist und die zwölf Köpfe zusammenrücken müssen, damit alle einen Platz haben. Doch es ist eine Abwechslung vom Alltag, einige Stunden für Selbstwirksamkeit, in denen das eigene Wort mehr Gehör findet.

Caritas-Mitarbeiterin Barbara Schinnerl führt durch die Redaktionssitzung. In der Runde wird berichtet, was es Neues gibt und welche „Traudi-Momente“ man hatte - Erlebnisse, auf die man besonders stolz ist. „Ich habe bei der Demo letztens einen Text über Selbstbestimmung vorgetragen“, erzählt Cornelia Pfeiffer. „Vor 3000 Leuten - und das, wo ich mich normalerweise eher im Hintergrund halte. Das war ein total ermächtigendes Gefühl.“ Die Freude über das Geschaffte ist unüberhörbar. 

Die Runde macht weiter: Auf der Website gibt es eine neue Filmkritik. Drei Redaktionsmitglieder haben sich zu einem Mobilitäts-Tandem zusammengefunden. Sie empfinden das Ein- und Aussteigen bei Zügen als schwierig. Und E-Scooter verstellen nach wie vor die Wege und sind gefährliche Hürden für Menschen mit Sehbeeinträchtigung. Im Tandem wollen die Redaktionsmitglieder dazu Beiträge erarbeiten.


Blickwinkel schärfen im Tandem

Einmal im Monat trifft sich die Inklusive Redaktion zur Sitzung. Das Ziel: Die Perspektiven von Menschen vor den Vorhang zu holen, die medial sonst kaum vertreten sind. „Wir werden so oft in eine Opferrolle gedrängt“, kritisiert Andreas Knogler. „Insbesondere im Behindertensport - entweder sind wir voll die Helden, oder Opfer. Dazwischen gibt es nichts.“

Der 32-Jährige arbeitet in einer Werkstätte, wo er Starkstrom-Dosen zusammenschraubt. Er empfindet die Arbeit als eintönig. „Hier in der Redaktion taugt es mir mehr“, sagt er. „Ich will gefordert werden.“ Redaktionskollege Benjamin Spießberger, der in einer Werkstätte Blitzableiter zusammenschraubt, stimmt ihm zu. Das Thema Arbeit beschäftigt das Team schon länger. Celina Petermandl, die zum ersten Mal im Redaktionsteam dabei ist, ist gleich mit im Boot: „Ich verstehe nicht, warum ich nur 100 Euro bekomme. Habt ihr eine Idee, wie wir da etwas ändern können?“, fragt sie in die Runde.

Seit Jahrzehnten ist das Thema Lohn für Menschen mit Beeinträchtigungen ein Thema - für die Betroffenen selbst und für ihre Interessenvertretungen. Sabine Zeller, die als Caritas-Mitarbeiterin die Redaktion begleitet, lenkt die Emotionen in konstruktive Bahnen. „Direkt ändern können wir nichts“, erklärt sie. „Weißt du, es gibt Gesetze, die von einer Regierung beschlossen wurden, und die sind nicht in Ordnung. Wir können darüber schreiben und es aufzeigen.“ Das nächste Tandem wird gegründet.
 

Spannungsfeld Bezahlung

Der inklusive Journalismus beleuchtet Themen, die sonst nicht einmal mitgedacht werden. Denn er kommt von Menschen, die oft eine ganz andere Perspektive auf die Welt haben.

Ein Vorreiter auf diesem Gebiet ist „andererseits“ - die erste inklusive Redaktion in Österreich. Es begann im Jahr 2020 als ehrenamtliches Projekt. Chefredakteurin Lisa Kreutzer ist fest davon überzeugt, dass es inklusiven Journalismus braucht. „Medien sind wichtige Kristallisationspunkte für soziale Veränderung“, sagt sie. „Dadurch können sie auch in der Art, welche Inhalte sie bringen und wie sie diese aufbereiten, eine hohe integrative Wirkung haben.“

Zwei Jahre nach der Gründung von „andererseits“ setzte man sich das Ziel, professionell zu werden - wer Texte schrieb, sollte dafür auch ein Honorar bekommen. Die Messlatte liegt hoch: „andererseits“ hat ein großes Redaktionsteam, ein gedrucktes Magazin in Leichter Sprache und einen regelmäßigen Newsletter. Gleichzeitig kämpfen sie damit, kostendeckend zu werden.

Das öffnet ein weiteres Feld: Für Menschen mit Beeinträchtigungen gibt es eine Zuverdienstgrenze, die sie nicht überschreiten dürfen. Es ist das Spannungsfeld zwischen einem „sicheren“ Werkstätten-Arbeitsplatz und einem - von vielen heiß ersehnten - Job am ersten Arbeitsmarkt. So eintönig die Starkstom-Steckdosen für Andreas Knogler sind - die Werkstätte zu verlassen für einen Redakteurs-Job bei einem inklusiven Magazin wäre ein riskanter Schritt. Es ist nicht gesichert, wie lange inklusive Medien am Markt Bestand haben können. Hat man den Platz in der Werkstätte jedoch einmal verlassen, wird dieser nachbesetzt. Falls man sich entscheidet wieder zurück zu gehen muss ein neuer Antrag gestellt werden. Es ist nicht garantiert wann und wo es einen neuen Werkstatt Platz gibt. Das führt bei vielen Menschen zu Unsicherheiten.


Sichtbar und kompetent auf Veranstaltungen

Die Inklusive Redaktion der Caritas ist daher ein stimulierendes und gleichzeitig sicheres Umfeld, um zu lernen, zu wachsen und eigene Perspektiven in die Welt zu bringen. „Wenn das, was wir machen, wahrgenommen wird, freut mich das“, betont Karin Höller. „Auf Facebook sehe ich, wie es ankommt, die Wertschätzung.“

Um zu noch mehr Sichtbarkeit zu kommen, steht Vernetzung ganz oben am Programm. Bei verschiedensten Veranstaltungen wirkt die Inklusive Redaktion mit - als Moderation auf der Bühne oder um ihre Expertise einzubringen...

Lesen Sie die gesamte Reportage über die Inklusive Redaktion sowie aktuelle Infos aus der Caritas in der neuen Ausgabe unserer Zeitung „nah dran“. Kostenlos abonnieren bei der Caritas Information, Tel. 0732/7610-2020, information(at)caritas-ooe.at

Zur Website der Inklusiven Redaktion: www.inklusive-redaktion.at

Damit die Stimmen breit gestreut werden, nahm das Team im März an einem Radio-Workshop von Radio FRO teil. „Wo fängt Beeinträchtigung eigentlich an?“, diskutierte das Team im ersten Podcast. Denn sehbeeinträchtigt sei man schon, wenn man eine Brille hat. Das falle jedoch oft nicht einmal auf. „Aber wehe, es hat jemand eine Beeinträchtigung, die stört - wenn man im Bus die Rampe braucht, um einzusteigen, oder ein Veranstalter etwas extra berücksichtigen muss - dann wird man als beeinträchtigter Mensch als Belastung empfunden“, kritisiert Cornelia Pfeiffer.